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5 Konflikte als Chance verstehen Meine Grundsätze des #Facilitation, 5 von 8
Wenn ich davon ausgehe, dass Systeme vor allem selbstregulierend und selbstorganisiert sind, dann verändert sich mein Blick auf den Umgang mit vermeintlichen Fehlern oder Konflikten. Bei einer Maschine besteht bei einem Problem die »Reparatur« darin, die ursprüngliche Funktionsweise wiederherzustellen, also dafür zu sorgen, dass die Maschine wieder das tut, wozu sie gebaut wurde. Diese Haltung erlebe ich häufig auch im Umgang mit Menschen und Gruppen. Wenn durch einen Konflikt oder eine »Störung« die Produktivität einer Gruppe leidet oder brachliegt, gibt es schnell den Ruf nach »Reparatur«, vor allem von den Kräften, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist oder war.
Wir wissen, dass das nicht funktioniert. Es sind gerade die Risse, Fehler und Brüche, die zu Veränderungen führen, so wie Leonhard Cohen in seinem Lied »Anthem« feststellt: »There is a crack in everything, that’s how the light gets in« (deutsch: Überall finden sich Risse, so kommt das Licht herein). Dies ermöglicht uns einen gänzlich anderen Bick auf Prozesse, Konflikte und »Störungen«. Die Haltung, die wir im Umgang mit Gruppenprozessen benötigen, ist, dass wir mit der Gruppe einen Raum gestalten, in dem die sonst als Störung empfundenen Dynamiken zu neuen Lösungen und Einsichten führen. Und das ist viel leichter gesagt, als getan, vor allem dann, wenn die Stimmung im Raum anfängt zu brodeln.
Arnold Mindell beschreibt diese Fähigkeit in seinem Buch »Mitten im Feuer« (Mindell 1999) und zeigt auf, wie sehr es auf unsere innere Bereitschaft ankommt, auch den Stimmen und Menschen Raum zu geben, die mit Wut, Hochmut oder Aggression daherkommen und keine wohlformulierten Ich-Botschaften äußern. Wir nutzen dann Techniken des Dialogs, unterstützen eigenständiges Denken, laden zu Kreativität, Diversität und »Querdenken« ein und schützen den Raum durch unsere Integrität. Wissen über Machtdynamiken in Gruppen, typische Gruppenphänomene und Entwicklungsphasen in Gruppen helfen uns dabei. Und wir benötigen eine Klarheit in unserer Rolle und eine Beziehung auf Augenhöhe mit unseren Auftraggebern ebenso wie den Teilnehmenden gegenüber.
Wenn ich eine Gruppe begleite, achte ich vor allem auf drei problematische Tendenzen: Konformitätsdruck, Sündenbockphänomen und Polarisierung.
Konformitätsdruck ist ein Phänomen, welches der Sozialpsychologe Solomon Asch 1951 formulierte (https://de.wikipedia.org/wiki/Konformitätsexperiment_von_Asch). Er erklärt, wie unter anderem der menschliche Wunsch nach Zugehörigkeit dazu führt, dass Menschen sich nicht trauen, bei ihrer eigenen Wahrnehmung zu bleiben und das Offensichtliche zu sagen, sobald eine andere Mehrheitsmeinung im Raum herrscht. Salomon Aschs Forschung belegte, dass bereits ein »Verbündeter« im Raum ausreicht, damit eine Person bei ihrer Wahrnehmung bleibt. Wenn wir davon ausgehen, dass alles, was im Raum geschieht, richtig und wichtig ist, ist es demnach eine vordringliche Aufgabe der Begleitung, dafür zu sorgen, dass niemand mit einer Meinung isoliert dasteht.
Sündenbockphänomen: Um den Konformitätsdruck zu vermeiden, haben Weisbord und Janoff die »Wer noch …?«-Technik (Weisbord/Janoff 2020) entwickelt, die zwar einfach ist, uns aber dennoch auf spezielle Art herausfordert. In »heißen« Momenten kommt es vor, dass jemand eine mutige Aussage macht, die bisher noch nicht gehört wurde, vielleicht nur von wenigen geteilt wird und die sich meist in Kritik äußert (manchmal auch an der Facilitatorin). Unsere Aufgabe ist es dann, sicherzustellen, dass die Person nicht allein steht. Sonst kann ein Sündenbockphänomen entstehen. Damit ist gemeint: Die Gruppe überträgt ungewollte, abgelehnte Aspekte auf diese eine Person und hört damit auf, sich weiterzuentwickeln – mit allen meist ausgesprochen unangenehmen Folgen wie zum Beispiel Mobbing.
In solchen Momenten stellen wir die Frage: »Wer noch hier im Raum ist der Meinung, …?« und warten ab, bis jemand in der Gruppe sich meldet. Das kann einen Moment dauern. Falls sich niemand meldet, suche ich selbst in mir den Anteil, der dieser Aussage zustimmen kann und melde mich. Aber es ist nicht meine Aufgabe, zu den Aussagen der Teilnehmenden Stellung zu nehmen.
Ein Beispiel: »Ich finde, dass in unserem Stadtteil zu viele Menschen fremde Sprachen sprechen.« Facilitator: »Wer noch findet, dass …» Keiner meldet sich. Facilitator: »Ja, ich kann das nachvollziehen. Welche weiteren Perspektiven gibt es noch?« Mit dieser Technik können wir auch vermeintlich »schwierige« Aussagen als weitere Information im Raum halten, ohne sie zu bewerten. Oder wir versuchen, zwischen gegensätzlichen Positionen zu schlichten.
Polarisierung in Gruppen entsteht dann, wenn sich durch die aufgeheizte Stimmung eine Debatte und ein Entweder-oder-Tauziehen breitmacht. Die Meinungen sind dann nach einer solchen Diskussion extremer als vorher. Wenn wir davon ausgehen, dass es immer eine gewisse Anzahl an Teilnehmenden gibt, die bei zwei Meinungspolen keine klare Tendenz haben, dann bedeutet Polarisierung, dass die Kräfte der einzelnen Pole im übertragenen Sinne versuchen, sie zu sich herüberzuziehen. Die Kommunikationskultur wird unerträglich, die Stimmung ist aufgeladen und nicht mehr an der Sache orientiert. Wenn dann auch noch ein Mehrheitsentscheid dazu führt, dass eine der beiden Optionen der »Gewinner« ist, haben wir eine wohlbekannte und nicht weniger verheerende Situation erreicht: Menschen machen die Erfahrung, dass Gruppen keine guten Lösungen finden, dass der Stärkere gewinnt und die Entscheidung ist in ihrer Wirkung hinfällig.
Mit Facilitation arbeiten wir darauf hin, nicht in einer Entweder-oder-Situation zu verharren, sondern gemeinsam mit der Gruppe den Raum zu erweitern in Richtung »Sowohl-als-Auch«. In einem guten Prozess entstehen dann meist ganz neue Optionen und Lösungen und die Entscheidung ist dann – oftmals verblüffend für viele – neu und unerwartet. Das bedeutet für mich, mein Innerstes mit dem zu verbinden, was in einer Gruppe möglich ist, nicht an die Beschränkungen zu glauben, die sich im Raum während herausfordernder Momente manifestieren, sondern den Raum offenzuhalten.
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Mehr zu den Grundsätzen des Facilitation in meinem „Mini Handbuch Facilitation“, Beltz-Verlag 2021, oder in unseren Ausbildungsangeboten auf www.facilitation-academy.de
Wir möchten besonders auf unsere folgenden Ausbildungsangebote hinweisen:
1-jährige Ausbildung zum Facilitator
Seminar Interne Prozessbegleitung
Facilitation Basics Online
© Jutta Weimar – Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Leicht veränderter Auszug aus dem Buch „Mini-Handbuch Facilitation“, erschienen 2021 beim Beltz Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Mehr Informationen zu Facilitation unter: www.facilitation-academy.de
*** English version ***
5 Understanding conflict as an opportunityMy principles of #Facilitation 5 of 8.
If I assume that systems are primarily self-regulating and self-organizing, then my view of how to deal with supposed errors or conflicts changes. In the case of a machine, when there is a problem, the „repair“ is to restore it to its original mode of operation, that is, to make sure that the machine does again what it was built to do.
I often experience this attitude in dealing with people and groups as well. When a conflict or „disruption“ causes a group’s productivity to suffer or lie fallow, there is quickly a call for „repair,“ especially from the forces that want everything to stay the way it is or was.
We know that doesn’t work. It is precisely the cracks, flaws and fractures that lead to change, as Leonhard Cohen states in his song „Anthem“: „There is a crack in everything, that’s how the light gets in“.
This gives us a completely different view on processes, conflicts and „disturbances“. The attitude we need in dealing with group processes is to create a space with the group in which dynamics that are otherwise perceived as disturbances lead to new solutions and insights. And that is much easier said than done, especially when the mood in the room begins to bubble.
Arnold Mindell describes this ability in his book „Sitting in the Fire“ (Mindell 1999) and shows, how much it depends on our inner willingness to also give space to the voices and people who come along with anger, arrogance or aggression and do not express well-formulated I-messages. We then use techniques of dialogue, support independent thinking, invite creativity, diversity and „lateral thinking“ and protect the space through our integrity. Knowledge about power dynamics in groups, typical group phenomena and developmental phases in groups help us to do this. And we need clarity in our role and a relationship at eye level with our clients as well as with the participants.
When I accompany a group, I pay particular attention to three problematic tendencies: pressure to conform, scapegoating and polarization.
CONFORMITY PRESSURE is a phenomenon formulated by social psychologist Solomon Asch in 1951 (https://de.wikipedia.org/wiki/Konformitätsexperiment_von_Asch). He explains how, among other things, the human desire to belong causes people to be reluctant to stick to their own perceptions and to state the obvious as soon as a different majority opinion prevails in the room. Solomon Asch’s research proved that even one „ally“ in the room is enough for a person to stick to their perception. If we assume that everything that happens in the room is right and important, it is therefore an urgent task of the accompaniment to make sure that no one with an opinion stands isolated.
SCAPEGOAT PHENOMENON: To avoid the pressure to conform, Weisbord and Janoff have developed the „Who else …?“ technique (Weisbord/Janoff 2020), which is simple, but challenges us in a special way.
In „hot“ moments, it happens that someone makes a bold statement that has not been heard before, may be shared by only a few and usually translates into criticism (sometimes of the facilitator). Our job then is to make sure the person is not alone. Otherwise, a scapegoating phenomenon can occur. By this we mean: the group transfers unwanted, rejected aspects to this one person and thus stops developing – with all the usually decidedly unpleasant consequences, such as bullying.
In such moments, we ask the question, „Who else in this room thinks …?“ and wait for someone in the group to speak up. This may take a moment. If no one speaks up, I look for the part of myself that can agree with this statement and speak up. But it is not my task to comment on the statements of the participants.
An example
„I find that too many people in our district speak foreign languages.“ Facilitator: „Who else thinks that …“ No one speaks up. Facilitator: „Yes, I can understand that. What other perspectives are there?“
With this technique, we can also keep supposedly „difficult“ statements in the room as further information without evaluating them. Or we can try to arbitrate between opposing positions.
POLARIZATION in groups occurs, when the heated atmosphere causes debate and an either-or tug-of-war. Opinions are then more extreme after such a discussion than before. If we assume that there is always a certain number of participants who have no clear tendency in two poles of opinion, then polarization means, that the forces of the individual poles figuratively try to pull them over to themselves. The communication culture becomes unbearable, the atmosphere is charged and no longer oriented toward the matter at hand. If, in addition, a majority decision leads to one side being the „winner“, we have reached a well-known and no less devastating situation: people experience that groups do not find good solutions, that the strongest wins and the decision is invalidated in its effect.
With facilitation, we work towards not remaining in an either-or-situation, but to expand the space together with the group in the direction of „both-and“. In a good process, completely new options and solutions then usually emerge and the decision is then – often amazingly for many – new and unexpected.
For me, this means connecting my innermost with what is possible in a group, not believing in the limitations that manifest in the space during challenging moments, but keeping the space open.
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More about the principles and practice of facilitation in my „Mini Handbuch Facilitation“, published 2021 by Beltz-Verlag, or in our training offers on www.facilitation-academy.de
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