Das Wort Dialog wird häufig benutzt und steht alltagssprachlich für ein Gespräch zwischen mindestens zwei Menschen. Bei unserer Arbeit verwenden wir Dialog jedoch in einem anderen, engeren Sinn: als »gemeinsam laut denken«. Dies impliziert eine besondere Art der Gesprächskultur, eine Offenheit im Denken, ein Erkunden des »großen Ganzen« und emergente, oftmals ganz neue Erkenntnisse. Und das Erstaunlichste ist: Zum Dialog ist kein Gegenüber notwendig.

Wir Facilitatorinnen und Facilitatoren sind davon überzeugt, dass sich die für den Dialog notwendige Haltung und das Bewusstsein für die Offenheit bei uns allen entwickeln lässt. Dialog als Kunst, gemeinsam frische und neue Gedanken zu entwickeln, ist aus unserer Perspektive genau das, was wir für die Lösung der vielfältigen und existenziellen Probleme in der Welt benötigen. Es geht nicht darum, welche Position sich durchsetzt, sondern welche intelligenten, innovativen und sinnvollen Ideen uns weiterhelfen. Dafür wollen wir die passenden Denk- und Lernräume schaffen und eine Möglichkeit, dies zu praktizieren ist der Circel.

Der Circle ist für unsere dialogische Praxis eine sehr zentrale Methode. Christina Baldwin und Ann Linea haben diese Arbeitsweise sehr präzise definiert (Baldwin/Linea 2014). Im Folgenden skizziere ich, wie ich den Circle im Workshop nutze.

Der Auftakt: Die Begleitung eröffnet den Circle durch ein einfaches Ritual mit einer Glocke oder dem Anzünden einer Kerze. Sehr hilfreich ist zudem eine passende Metapher zum Thema, ein Bild oder ein kurzer, inspirierender Text.

Die Vereinbarung: Auch wenn die Leitung von wechselnden Teilnehmenden eingenommen wird oder wenn sich Aufgabe und Absicht des Kreises verändern, sind Vereinbarungen im Circle von zentraler Bedeutung.

Baldwin und Linea schlagen folgende Standards vor:

  • Persönliche Informationen, die im Kreis mitgeteilt werden, sind vertraulich.
  • Wir hören einander neugierig und mitfühlend zu und urteilen nicht.
  • Wir fordern, was wir brauchen, und bieten, was wir können.
  • In bestimmten Abständen halten wir inne und richten unsere Gedanken und Aufmerksamkeit neu aus.

 

Der Check-In: Der Check-in entfällt, wenn ich den Circle während eines Workshops nutze und bereits ein Check-in mit den Teilnehmenden zu Beginn der Veranstaltung stattgefunden hat.

Die Intention: Die Intention wird zu Beginn meist durch eine Frage formuliert. Sie steht für das Verständnis, das die Teilnehmenden davon haben, warum sie versammelt sind, was sie zu erwarten haben und was sie bereit sind, miteinander zu tun und zu erfahren. Je präziser die Intention der Teilnehmenden definiert ist, desto zielgerichteter entwickelt sich die Dynamik im Kreis.

Führung im Wechsel: Die Rolle der Gastgeberin oder des Gastgebers bleibt meist konstant bei einer Person. Andere Führungspositionen werden jedoch im Turnus von wechselnden Personen übernommen, damit alle zum Funktionieren des Kreisprozesses beitragen können.

Die Rolle des Achtgebers bzw. der Achtgeberin besteht in Folgendem: Er oder sie schlägt den Gong, wenn es hitzig wird, wenn die Teilnehmenden vom Thema abdriften oder wenn jemand besonders lange spricht (Gong und kurze Stille). Jeder im Kreis kann den Achtgeber bitten, den Gong zu schlagen, die Rolle kann nach einer Runde rotieren.

Die Schreiberin beziehungsweise der Schreiber notiert, was in der Essenz gesagt wurde – in den Worten der Teilnehmenden. In einem facilitierten Circle schreibe ich meistens selbst die Aussagen auf Moderationskarten und lege sie in die Mitte – damit entlaste ich die Teilnehmenden, da viele Menschen zunächst unsicher sind, was sie genau aufschreiben sollen. Um den Fluss des Gesprächs nicht zu stören, soll das Aufschreiben aber mehr im Hintergrund geschehen und damit Nachfragen vermieden werden. Wenn ich selbst spreche, frage ich die neben mir Sitzenden, ob diese für mich aufschreiben.

Die Runden: Nachdem der Rahmen durch alle bisher genannten Strukturelemente gesetzt ist, gehen wir in zwei bis drei Runden tiefer auf die Frage beziehungsweise die Intention ein. Zu Beginn liegt dazu das Redeobjekt in der Mitte und ich lade dazu ein, dass die Person, die starten möchte, beginnt, indem sie den Redestab nimmt und spricht und dann den Redestab weitergibt.  Dazu gebe ich folgenden Satz mit auf den Weg: »Sprich von Herzen und halte dich kurz.«

Ich beteilige mich meist an den Runden und teile ebenfalls meine Gedanken, Gefühle und Erfahrungen mit, meist recht persönlich, nie belehrend oder schulmeisternd.

In den meisten Fällen genügen zwei Runden (immer mit derselben Fragestellung und Einladung). Manchmal erweitert oder vertieft eine dritte Runde das Thema. In der Regel frage ich die Gruppe nach zwei Runden, ob sie noch eine dritte Runde versuchen möchte. Sobald es verschiedene Resonanzen dazu gibt, lade ich zu einer dritten Runde ein. Hier sprechen manchmal nur wenige, aber dafür kommen diejenigen Aspekte dazu, die noch nicht gesagt wurden.

Check-Out: Der Circle wird mit einer kleinen Abschlussrunde beendet. Hier stelle ich meist die Frage »Wie war es?« und lade zu einer Prozessreflexion ein.

Tipps für die Praxis im Circle und Anwendungsfelder:

  • Teilnehmerzahl: Aus meiner Erfahrung sind acht bis zwölf Personen im Circle eine gute Anzahl. Wenn es mehr Beteiligte gibt, dauert der Circle meist zu lang und kann ermüdend werden. Möglich ist dann die Aufteilung in zwei Kreise. Bei großen Gruppen nutze ich als Variante das »Conversation Café« aus den Liberating Structures. Da hier die Zeiten klar getaktet sind, kann ich davon ausgehen, dass auch eine große Anzahl an gleichzeitig stattfindenden Kreisgesprächen zu einer ähnlichen Zeit beendet sind.
  • Rollen: Sie spannen gemeinsam den Raum auf, daher sollten diejenigen, die sie einnehmen, nicht nebeneinander, sondern »im Dreieck« verteilt im Raum sitzen.
  • Rollenverteilung: Es ist darauf zu achten, dass die Gastgeberin nicht gleichzeitig die Rolle der Achtgeberin übernimmt, weil diese sonst zu dominierend wird. Aber die Gastgeberin kann gleichzeitig Schreiberin sein.
  • Redefluss: Solange die Form des Circles eingehalten wird, sollte der Redefluss niemals unterbrochen werden. Als Facilitatorin muss ich das Vertrauen haben, dass alles, was hier geschieht, dazugehört und richtig ist. Wenn wir diese Haltung einnehmen, dann kann das nicht passieren. Wenn sich allerdings Teilnehmende gegenseitig unterbrechen und ins Wort fallen, dann schlägt die Achtgeberin den Gong. Und: Jede Teilnehmende kann den Achtgeber bitten, den Gong zu schlagen
  • Wichtig ist auch der Hinweis: Wir nutzen den Circle nicht für die Entwicklung von Lösungen, aber das daraus entstandene Datenmaterial zum Weiterarbeiten.
  • Pausen: Nach jedem Circle – egal wie lange er dauert – ist eine Pause erforderlich, weil er sehr intensiv und für manche herausfordernd ist. Die Schwierigkeit liegt hierbei auf zwei Ebenen: Für die einen ist es schwer abzuwarten, bis sie an der Reihe sind, für andere kann es sehr herausfordernd sein, wenn jemand bereits das geäußert hat, was man selbst sagen wollte. Der Leere vertrauen und sagen, was zu sagen ist, wenn ich dran bin, das erfordert etwas Übung.
  • Dauer: Plane etwa ein bis eineinhalb Stunden ein.
  • Einsatz: Ich nutze den Circle immer in der mittleren Phase eines Workshops (häufig spontan eben dann, wenn ein Thema »aufploppt« und es sich lohnt, tiefer untersucht zu werden). Der Circle endet meist mit einem größeren Verständnis füreinander und für die Thematik. Der Ausgang ist jedoch offen, deshalb ist es wenig ratsam, ihn ans Ende eines Workshops zu legen. Denn dann besteht die Gefahr, dass der Workshop mit einer komischen oder unfertigen Stimmung endet.

Anwendungsfelder des Circle:

  • Gut eignet sich der Circle, wenn es um Beziehungsthemen geht oder um scheinbare Tabus, also Themen, die – von Vielen meist unbewusst – ausgeblendet werden. Ich nutze den Circle, um in der Gruppe ein gemeinsames Bewusstsein jenseits der Sachthemen zu ermöglichen und im Austausch die Herzen der Menschen füreinander zu öffnen.
  • Wenn ein »unsichtbarer Elefant im Raum« und zu spüren ist, dass es eigentlich um etwas anderes geht; oder wenn scheinbar nicht alle Perspektiven zu Wort kommen, dann passt der Circle ebenfalls.

 

© Jutta Weimar – Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Leicht veränderter Auszug aus dem Buch „Mini Handbuch Facilitation“, erschienen 2021 beim Beltz Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Mehr Informationen zu Facilitation unter: www.facilitation-academy.de