Fünf irreführende Annahmen: Was ist Facilitation und was ist es nicht?
In der Praxis begegnen mir immer wieder irreführende Annahmen rund um Prozessbegleitung und Facilitation. Um den Begriff, den Beruf und das Handlungsfeld der Facilitatorinnen und Facilitatoren zu schärfen, mögen dir meine folgenden Ausführungen über Annahmen und deren »Richtigstellung« hilfreich sein.
Annahme 1: »Der Facilitator bringt den Leuten etwas bei, bewertet Aussagen und Informationen und übermittelt wichtige Nachrichten (zum Beispiel Hintergrund und Ziele der Veranstaltung, Inhalte einer neuen Strategie et cetera)«.
- Diese Annahme wird in vielen Fällen von Führungskräften so geäußert. Dabei entspricht das der Führungsaufgabe und sollte das auch bleiben. Wir schwächen die Führungskraft unserer Auftraggebenden, wenn wir diese Aufgabe selbst übernehmen. Natürlich können wir im Rahmen der Auftragsklärung und Vorbereitung die Führungskraft dabei beraten, Inhalte auf den Punkt zu bringen und die Intention klar zu formulieren.
- Klare Rollenteilung und Neutralität ist eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen von Facilitation. Genau das ermöglicht Emergenz von bisher »Ungedachtem« und macht den Unterschied zur Führungsaufgabe.
Annahme 2: »Die Facilitatorin analysiert und entwickelt die Gruppe, stellt Hypothesen auf und entwickelt darauf aufbauend eine Intervention.«
Wenn wir uns zurückhalten und der Gruppe die Möglichkeit geben, sich selbst zu analysieren, stärkt das die Fähigkeit der Einzelnen und der Gruppe insgesamt, sich weiterzuentwickeln und Führung zu übernehmen. Gerade wenn wir nicht analysieren und bewerten, ermöglichen wir den Gruppenmitgliedern, die eigenen Fähigkeiten wahrzunehmen und verhindern eine Abhängigkeit vom »Genius« der prozessbegleitenden Person im Sinne einer Autoritätsprojektion.
Annahme 3: »Der Facilitator benötigt Informationen über einzelne Mitglieder der Gruppe, über deren Ressourcen, Wünsche und (offene/verdeckte) Motivationen.«
- Der Blick auf das Verhalten einzelner Personen kann sehr schnell in die Irre führen.
- Wenn wir hingegen Verhalten als Information betrachten, die im Feld vorhanden ist, können wir jedes Verhalten, jede Aussage als Beitrag werten.
- Wenn wir das Offenlegen von »Hoffnungen und Befürchtungen« als gemeinsamen Prozess angehen, ermöglichen wir ein Lernen für alle.
Annahme 4: »Facilitation ist vor allem der Einsatz von Methoden.«
- Natürlich arbeiten wir gern mit wunderbaren facilitativen Methoden, aber zu welchem Ergebnis die Gruppe mit einer bestimmten Methode kommt, hängt zu einem hohen Maß von der Person ab, die sie verwendet. »You are the most important tool«, wie Otto Scharmer festgestellt hat.
- Wenn ich eine Methode anwende, dann übernehme ich auch die impliziten und expliziten Grundannahmen, die diesem Werkzeug innewohnen. Diese sollte ich also kennen, wenn ich sie auswähle.
- Methoden sollten daher der begleitenden Person hinreichend bekannt und in der Anwendung erprobt sein, dem Thema und dem Ziel angemessen sein sowie Selbstorganisation ermöglichen und Aktivität, Emotion, Fantasie, Spaß und Lernbereitschaft anregen.
Annahme 5: »Die Facilitatorin ist verantwortlich für die Zielerreichung und für das Ergebnis. Ihre Fähigkeit und ihr Können wird vor allem daran gemessen, wie weit eine Gruppe in der vorher aufgestellten Zielerreichung gekommen ist.«
- Tatsächlich macht unsere Arbeit nur Sinn, wenn sie einen Mehrwert für die Gruppe ergibt. Natürlich ist eine unserer Aufgaben, die Gruppe auf diesem Weg zu begleiten, den Fokus und das Ziel im Blick zu behalten. Gleichzeitig geht Entwicklung nur Schritt für Schritt. Wenn es zum Beispiel darum geht, eine für alle nachvollziehbare Entscheidung zu einer wichtigen Frage zu treffen oder eine sinnstiftende Zukunft zu entwickeln, können wir vorher nicht wissen, wie lange es dauert und was geschieht. Für uns gilt dabei immer der Grundsatz »Was im Raum geschieht, ist wichtiger als das, was wir geplant haben«.
- Manchmal ist ein zunächst enttäuschendes Ergebnis genau das, was eine Gruppe in der Entwicklung und in der Zielerreichung weiterbringt. Wenn wir versuchen, den Menschen eine Ent-Täuschung zu ersparen (vielleicht auch aus Angst, den nächsten Auftrag nicht zu bekommen), verhindern wir ein Lernen auf tieferer Ebene.
Die facilitative Haltung
Folgende Verhaltensweisen machen eine facilitative Haltung aus:
- Fragen stellen statt Annahmen äußern
- sich der eigenen Haltung bewusst sein, Vorannahmen über Menschen und Prozesse erkennen und hinterfragen können
- mit der Gruppe arbeiten, nicht gegen sie kämpfen
- Unterschiede zwischen Wahrnehmung, Vermutung und Bewertung kennen und spüren können (bei sich selbst und bei anderen)
- mit Widerständen und Projektionen gelassen umgehen
- Uneindeutigkeiten und Konflikte stehen lassen, ohne den Anspruch zu haben, immer alles gleich lösen zu können
- »Ich«-Botschaften statt »man«
- nonverbale Signale beachten
- Rechtfertigung unterlassen, Provokation und Anklage hinterfragen
- Methodendiskussion unterbinden
- eine »Sowohl-als-auch«- und »Je-nachdem«-Haltung einnehmen (flexibel sein)
- Vertrauen in die Fähigkeiten der Menschen zeigen und Ruhe und Zuversicht ausstrahlen
Mehr zu Facilitation in meinem „Mini Handbuch Facilitation“, erschienen 2021 beim Beltz-Verlag oder in unseren Ausbildungsangeboten auf www.facilitation-academy.de
© Jutta Weimar – Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Leicht veränderter Auszug aus dem Buch „Mini-Handbuch Facilitation“, erschienen 2021 beim Beltz Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Mehr Informationen zu Facilitation unter: www.facilitation-academy.de