***English version see below ***
Meine acht Grundsätze des Facilitation - Eine Einführung
»We all go to the same different meeting!«
(Marvin Weisbord/Sandra Janoff)
Warum wir begleiten und nicht »moderieren«
Die vielleicht wichtigste Grundannahme, die wir bei der Begleitung von Gruppenprozessen beherzigen, ist die, dass Menschen »sich selbst organisierende Systeme« sind. Sie reagieren auf die gleiche äußere Situation in sehr unterschiedlicher Art und Weise und tun dabei das, was für sie Sinn ergibt. Dabei orientieren sie sich an ihrem inneren Abbild der Wirklichkeit, nicht an der Wirklichkeit selbst. Dieses Bild wird geformt durch all das, was den einzelnen Menschen ausmacht: eigene Werte, Fähigkeiten, Vorerfahrungen und vieles mehr. Unser inneres Bild der Welt bedingt unsere kognitive und emotionale Reaktion auf eine Situation und gibt den Impuls für unser Handeln.
Die Innenwelt von Menschen kann ich nicht direkt beeinflussen, da sie stets als autonome Wesen empfinden und handeln. Ich kann jedoch einen Rahmen für eine einschneidende, kreative Erfahrung herstellen, die Sinn schafft. Wir sprechen hierbei von einem »sozialen Container«. Das bedeutet: Es handelt sich um einen Raum, der Sinnbildung durch Kommunikation ermöglicht. Beim Erschaffen dieses Raums ist das Verständnis von Menschen und Menschengruppen als selbstorganisierende Systeme die Grundlage für präzise Entscheidungen über unser Tun und Lassen in einer facilitativen Rolle.
Das hört sich einfacher an, als es ist, und stellt unseren Erfindungsgeist und das Beherrschen unseres Kontrollwunsches immer wieder auf die Probe. Die Praxis zeigt sich häufig in kleinen Details, die von den Menschen meist nur im Kontrast wahrgenommen werden:
- Fragen wir die Menschen nach den Anliegen, die sie haben und lassen wir sie selbst entscheiden, an was sie arbeiten möchten, oder geben wir (oder die Beauftragenden) die Themen und den Prozessverlauf vor?
- Lassen wir die Teilnehmenden (sobald das konzeptionell Sinn macht) sich selbst in Gruppen einteilen oder machen wir das (zum Beispiel durch »Abzählen« oder mithilfe von Gummibärchen)?
- Geben wir den Beteiligten die Möglichkeit, ihre Pausen selbst einzuteilen (zum Beispiel im Rahmen einer Kleingruppenaufgabe) oder geben wir eine genaue Zeiteinteilung vor?
- Wie offen sind wir im Prozess dafür, unsere Planung über den Haufen zu werfen, wenn wir merken, dass sich gerade etwas anderes offenbart als ursprünglich gedacht? – Was ist wichtiger? Der Plan oder das, was tatsächlich geschieht? Und wie beurteilen wir das dann?
Grundlage der Überlegungen ist die vielzitierte Unterschiedsbildung zwischen Mensch und Maschine. Mir begegnen immer noch erstaunlich oft Aspekte des längst revidierten tayloristischen Verständnisses vom Menschen als Leistungserbringer sowie die Trennung von Handeln, Denken und Gefühlen – kurz: ein mechanistisches Bild vom Menschen.
Für die Bewältigung der bedeutsamen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts benötigen wir aber ein radikal anderes Verständnis und eine grundlegend andere Arbeitsweise – den Umgang mit sich selbst organisierenden, lebendigen Systemen.
In dieser Serie von Blogbeiträgen erläutere ich meine facilitative Praxis anhand von acht wichtigen Grundsätzen, die ich durch meine über 20-jährige Praxis entwickelt habe und die die wichtigste Basis all meiner Prozesse sind:-Konzentration auf Beziehungen und Prozesse
- Prinzipien und Metaphern statt Regeln
- Entwicklung von Zielen
- Zusammenwirken unterstützen
- Konflikte als Chance verstehen
- Komplexität adäquat begegnen
- Emergenz ermöglichen
- Wir selbst sind das wichtigste Werkzeug
Anhand dieser Grundsätze, die ich in den folgenden Blogbeiträgen beschreibe, wird der praktische Einsatz von Facilitation, welches Selbstorganisation optimal unterstützt, verstehbar und nutzbar.
Viel Freude beim Lesen!
© Jutta Weimar – Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Leicht veränderter Auszug aus dem Buch „Mini-Handbuch Facilitation“, erschienen 2021 beim Beltz Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Mehr Informationen zu Facilitation unter: www.facilitation-academy.de
*** English version ***
My eight Principles of #Facilitation
„We all go to the same different meeting!“
(Marvin Weisbord/Sandra Janoff)
Why we facilitate and don’t „moderate“
Perhaps the most important basic assumption we take to heart when facilitating group processes is, that people are „self-organizing systems.“ They react to the same external situation in very different ways, doing what makes sense to them. In doing so, they orient themselves to their inner image of reality, not to reality itself. This image is formed by everything that makes up the individual person: their own values, abilities, previous experiences and much more. Our inner image of the world conditions our cognitive and emotional response to a situation and provides the impetus for our actions.
I cannot directly influence the inner world of people, since they always feel and act as autonomous beings. I can, however, establish a framework for an incisive, creative experience that creates meaning. We speak here of a „social container.“ This is a space that enables meaning-making through communication. In creating this space, understanding people and groups of people as self-organizing systems is the basis for making precise decisions about what we do in a facilitative role.
This sounds simpler than it is, and continues to test our capacity to invent and mastery of our desire to control. This practice often shows up in small details that people usually notice only in contrast:
– Do we ask people what their concerns are and let them decide for themselves what they want to work on, or do we (or the “boss”) specify the topics and the process flow?
– Do we let the participants (as soon as this makes conceptual sense) divide themselves into groups or do we do this (for example, by „counting off“ or with the help of gummy bears)?
– Do we give participants the opportunity to divide up their breaks themselves (for example, as part of a small group task) or do we give a precise time allocation?
– How open are we in the process to give up on our agenda, when we realize that something else is about to reveal itself than we originally thought? – What is more important? The plan or what actually happens? And how do we judge that?
The basis of these considerations is the much-cited distinction between man and machine. I still find surprisingly often aspects of the long-revised Taylorist understanding of humans only from the angle as service provider, as well as the separation of action, thinking and feelings – in short: a mechanistic image of humans.
But to meet the actual challenges of the 21st century, we need a radically different understanding and a fundamentally different way of working – dealing with self-organizing, living systems.
In this series of blog posts, I explain my facilitative practice, using eight key principles that I have developed through my 20+ years of practice and that are the most important basis of all my processes:
- focus on relationships and processes
- principles and metaphors rather than rules
- development of goals
- supporting cooperation
- understanding conflict as an opportunity
- deal with complexity adequately
- enable emergence
- we ourselves are the most important tool
Based on these principles, which I will describe in the following blog posts, the practical use of facilitation, which ideally supports self-organization, becomes understandable and usable.
Enjoy reading!