Den Begleitungs-Auftrag verkörpern – Embodiment als Praxis für Facilitator*Innen
Als professionelle Begleitung von Gruppen in ihren Veränderungsprozessen erlebt Facilitation gerade in diesen unruhigen Zeiten eine starke Nachfrage. Zahlreiche Faktoren entscheiden darüber, wie wirksam eine Begleitung vom Kunden erlebt wird. Neben dem passenden Handwerkszeug und einer facilitativen Haltung entscheidet auch das Erspüren der Gruppe, auch schon vor der eigentlichen Veranstaltung darüber, wie erfolgreich eine Begleitung wird.
Wie gelingt dieses Erspüren der Gruppe? Wir Menschen tragen ein ausgesprochen präzises Spürwerkzeug ständig mit uns: unseren Körper. Die Verkörperung des Auftrags, das körperlich wahrnehmbare Einfühlen in das Anliegen des Kunden und die Gruppe sind zentrale Schritte in der Vorbereitung auf jeden Begleitungsauftrag.
Nachdem ich eine richtig gelungene Veranstaltung begleitet hatte, sprach ich vor einigen Tagen mit meiner Kollegin Jutta Weimar darüber. Ich erzählte ihr, wie sich dieser Auftrag vom Erstkontakt bis zum abschließenden Kundenfeedback in mir entwickelt hat. Mit Bedacht sage ich: „in“ mir. Denn genau darum geht es: Ich habe den Kunden, die Teilnehmenden, die Veranstaltung, die Prozesse in mir gespürt. Ich habe einen Raum in mir geöffnet, in dem dieser Auftrag sich entfaltet hat. Der Auftrag hatte eine körperliche Repräsentanz in mir. Ich habe den Auftrag sozusagen verkörpert.
In der Regel beginnt ein solcher Auftrag mit meinem „inneren Ja“ – wie Jutta es nennt – für das Anliegen des Kunden. Mit meiner Zustimmung eröffne ich in mir einen Raum für den Kunden. Am Anfang bewege ich mich vorsichtig durch diesen Auftrags-Raum, wie in einer Landschaft, die ich noch nicht kenne. In Vorgesprächen und bei Treffen mit der Vorbereitungsgruppe erfahre ich weitere Fakten, und parallel zu diesem äußeren Prozess spüre ich in mich hinein, lausche den Informationen, die sich mir zu den gelieferten Fakten innerlich zeigen. Diese bringe ich dann wiederum im Außen mit dem Kunden in Kontakt, verifiziere, verwerfe und kläre. Nach und nach werde ich durch diesen iterativen Prozess vertrauter: Die bisher schemenhaften Umrisse erkenne ich nun klarer. Die Personen in meinem inneren Raum werden zunehmend lebendig, ich spüre ihre Beziehungen untereinander, sehe die Verbindungen, Blockaden, Hürden, Kurven und Verschlingungen, die ihr Miteinander prägen.
Während ich mein Konzept schreibe, bringe ich Formate und Maßnahmen aus meinem Facilitation-Portfolio in den Raum, stelle das eine hierhin, platziere das andere dorthin, verändere, passe an, kombiniere oder verkürze. Mit den Personen in meinem innerlichen Raum teste ich die Arbeitsfragen und -aufträge, nehme ihre Reaktionen und Ergebnisse wahr, feile an Worten und Sätzen, solange, bis sie mir genau passend scheinen. Stimmig. In diesen Momenten fühle ich dann wieder das „innere Ja“ in mir, ein wohltuendes Gefühl wie beim Betrachten einer abgestimmten Farbgebung oder beim Hören einer harmonischen Tonfolge. Körperlich nehme ich dies als Entspannung und Wärme wahr.
Mit einer Veranstaltung, bei der ich zu den meisten geplanten Schritten „Ja“, „Passt“, „Stimmt“ und „Genau“ sage, fühle ich mich sicher. Ich fühle mich ruhig mit dem, was ist und was kommen wird. Die Stromschnellen, die möglicherweise warten, machen mir keine Angst. Sie kommen überraschend, ich kenne sie nicht, aber ich fühle den Auftrags-Raum so verbunden mit mir, dass ich sicher bin: Mir wird sich im richtigen Moment eine passende Antwort oder Idee zeigen.
Dieses körperliche Beheimaten des Auftrags bedeutet auch, den Auftrag mit in den eigenen Schlaf zu nehmen. In meinen Träumen oder direkt nach dem Aufwachen, aber auch beim Joggen habe ich oft entscheidende Eingebungen, die manchmal noch einmal das gesamte Konzept auf den Kopf stellen.
Und dann ist die Veranstaltung da, die ich begleite. Vieles geschieht wie gedacht und anderes kommt ganz anders. Und weil ich Teil dieser Veranstaltung bin und die Veranstaltung ein Teil von mir ist, gibt mir mein sorgsam ausgearbeiteter Plan eine solide Richtung vor, ist jedoch nur eine Möglichkeit zum Ziel. Ich spüre die Gruppe in mir, bemerke, wenn ein geplanter nächster Schritt nicht der passende wäre und bin dadurch in der Lage, flexibel umzustellen, zu ändern, zu verwerfen, anzupassen. Wie schon in der Vorbereitung gibt mir mein Körper auch während der Veranstaltung entscheidende Hinweise, was zu tun ist. Und manchmal ist das etwas völlig anderes als geplant. „Das genau macht eine gute Begleitung aus“, meint Jutta.
Das eigene Eingestimmt-Sein erlebe ich als wesentlich für das Gelingen einer Begleitung. Mein Körper ist Resonanzinstrument, für das, was stattfindet. Je präziser ich meine körperlichen Signale wahrnehme, je mehr sie mich bei meiner Selbst-Regulation unterstützen und je angemessener ich sie in Handlung mit der Gruppe übersetzen kann, umso mehr bleibe ich verbunden mit der Gruppe und umso sicherer begleite ich den mir anvertrauten Prozess.
Embodied Facilitation – Führen und Begleiten verkörpern: Online-Praxisgruppe ab 27. Oktober 2020,
sieben Termine, jeweils dienstags von 19-21 Uhr mit Jutta Weimar und Anja Louisa Schmidt