Ein Hospitationsbericht von Ina Spies, Januar 2020
Ein open space mit den Führungskräften einer Landesbehörde – schon eine echte Herausforderung. Aber dann noch zur zentralen Frage: „Was machen wir falsch?“ – eine kleine Kulturrevolution in hierarchisch zementierten Strukturen. Eine Mitarbeitenden-Befragung hatte sehr schlechte Ergebnisse in Hinblick auf Führungs- und Kommunikationsverhalten ans Licht gebracht. Die Beteiligung war so hoch, dass die Ergebnisse nicht in der Schublade verstauben konnten. Eine Steuerungsgruppe wurde ins Leben gerufen, eine zweitägige Klausur als off-site angesetzt.
Im Tagungshotel finden sich rund 50 Menschen verschiedener Hierarchiestufen ein, die oft schon lange im selben Haus arbeiten, ohne sich zu kennen. Zurückhaltung liegt in der Luft, Vorbehalte gegenüber dem Experiment, aber auch eine gewisse Neugier. Der erste Tag beginnt mit der Frage, was die Tagung bringen soll, Wünsche und Befürchtungen, der Erinnerung an die Ergebnisse der Mitarbeitenden-Befragung und führt zu einem World-Café.
Verwirrung und Zuversicht
Hier kommt Bewegung ins Spiel: Vier bis fünf Personen stehen vor der Aufgabe, gemeinsam eine große, runde Papp-Tischplatte so auf ihre Knie zu heben, dass die Stifte und Zettel darauf nicht abstürzen. Physische Zusammenarbeit und Nähe. Scheint zu funktionieren und die anschließenden drei Runden von Ideensammlung sind lebhaft, fröhlich und produktiv. In der abschließenden Abendrunde bekennen einige Teilnehmende, verwirrt und zugleich zuversichtlich zu sein.
Nach dem wrap-up am Morgen des zweiten Tagungstages geht es in den open space. Jutta Weimar erklärt das Procedere und nimmt beherzt die Sorgen der Teilnehmenden vorweg, ebnet den Weg. Beim Formulieren der Anliegenden geschieht der „magische Moment“ der Öffnung: Ein Mitglied des obersten Führungskreises hebt ein heikles Thema auf die Tagesordnung. Das öffnet den Raum für weitere kritische Anliegen, Offenheit, Ehrlichkeit.
In den folgenden gut vier Stunden erfüllen offene, leidenschaftliche Diskussionen den Raum, Hierarchieebenen verschwimmen, Menschen werden hinter ihrer Fassade sichtbar. „Schmetterlinge“ erzählen Geschichten beim Kaffee. Einzelne sitzen allein mit ihrem Anliegen, müssen die Enttäuschung darüber verkraften, wenden sich dann anderen Themenkreisen zu.
Perspektivwechsel
Ich lerne indessen zu schleichen, mit unfokussiertem Blick durch die Menschentrauben zu gleiten, ohne Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Den Prozess unsichtbar unterstützen, nicht in Erscheinung treten, nicht eingreifen, nichts machen. Gott, ist das ungewohnt! Facilitation stellt mich vor die Herausforderung, meine Verhaltensweisen zu überdenken und zu ändern. In meinen Vorurteilen schleichen nur graue Behördenmenschen quasi unsichtbar über diffus beleuchtete Linoleumflure. Ein Perspektivwechsel …
Bei der Präsentation der Handlungsplanung herrscht Aufbruchstimmung unter den „Behördenmenschen“, die sogar frotzelnd miteinander darum konkurrieren, wer die Ergebnisse der Klausur und die nächsten Schritte als erstes seinem Team präsentieren wird. Vom Ergebnis des open space beflügelt werden die Teilnehmenden in den nächsten Wochen sicherlich elanvoll über die Behördenflure voranschreiten.