Selbstorganisation funktioniert - mit Spaß!
Hospitationsbericht über eine Mitarbeiter*innen-Konferenz für einen Jugendhilfeträger in Berlin mit ca. 200 Teilnehmenden im Sommer 2018
Als Jutta, Frederik, Johannes, Jens und ich den Üdersee erreichen, steht unsere Veranstaltung unter keinem guten Stern: Das Gruppenzelt ist unterspült, mehr Regen kündigt sich an und es gibt keine Schlechtwetter-Alternative. Doch wir bleiben bester Laune. Johannes übernimmt das Wetterradar und nach einer kurzen Check-In-Runde legen wir los: Bänke rücken, Plakate malen, Räume ausschildern, Material zusammenstellen. Gegen 22 Uhr sind wir fertig und lassen den Abend in gemütlicher Runde ausklingen.
Der nächste Morgen begrüßt uns mit sanften Sonnenstrahlen. Wir treffen uns im Team zur Check-In-Runde und zum letzten Briefing. Der Tag steht unter dem Motto: „Zusammen wachsen…Neues gestalten“. Und es wird bewegt!
Nach der Einführung im großen Zelt strömen über hundert Interview-Pärchen über das grüne Idyll und teilen in intensiven Gesprächen ihre großen und kleinen Erfolgsgeschichten. Im ersten Teil der Konferenz arbeitet die Gruppe im Format „Appreciative Inquiry“, es geht um das Entdecken von Potenzialen der Organisation über persönliche Erfolgsgeschichten. Es läuft wie von Zauberhand. Die Paare tauschen sich gemeinsam mit anderen weiter aus. Zwei Stunden später bekommen wir von allen Kleingruppen stapelweise bunte PostIts, auf denen sie die Gelingensbedingungen ihrer Arbeit in Worte gefasst haben.
Während wir die Fülle dieser Ressourcen an Metaplanwänden sortieren, erzählt jede Gruppe eine besondere Geschichte aus ihrer Runde – 30 berührende Momente in 30 Minuten! Dann geht es um die Zukunft: Die Teilnehmer*innen bewegen sich zu den Beats der Madagaskar-Version von „I like to move it“, auf der Suche nach ihrem Wunsch an die Zukunft ihrer Organisation. Einige finden sogar eine Geste dafür.
Die Sonne strahlt jetzt mit uns um die Wette. Im schattigen Zelt reflektiert jeder für sich das heute Erlebte und teilt die Beobachtungen in kleinen Gruppen. Nach und nach entsteht ein gemeinsames Bild der Eindrücke und deren Bedeutung. Wie von selbst treten konkrete Vorhaben zur Zukunftsgestaltung ans Licht, zu denen sich schnell begeisterte Mitstreiter*innen finden.
Was mir diese Erfahrung bedeutet
Mir zeigt diese Erfahrung einmal mehr, dass und vor allem wie Selbstorganisation funktioniert. Wir als Begleitteam kreieren einen Rahmen, das Bild gestalten einzig und allein die Teilnehmer*innen. Nichts muss, alles kann. Wir handeln gemeinsam nach klaren Prinzipien; dazu gehört auch mal freundliche Frustration („Du hast noch keinen Interviewpartner? Schau mal, wer da draußen auch noch einen Partner sucht“). So kann jede*r in der vermeintlichen Unordnung einen Platz finden und sich auf ganz eigene Art und Weise einbringen. Es fasziniert mich, zu erleben, wie schnell die Teilnehmer*innen die Einladung zur Selbststeuerung annehmen und den gegebenen Raum mit Bedeutsamkeit füllen.
Was ich mitnehme
Viele kleine und große Erkenntnisse, für die ich dankbar bin und die sich im Kern mit folgenden Worten zusammen fassen lassen: „If it isn’t fun, it isn´t working“ (Wenn es keinen Spaß macht, funktioniert es nicht.). Die Quelle für diesen Spaß kann im kleinsten Detail liegen. Zum Beispiel darin, dass einer im Team allen anderen die Sorge um das Wetter abnimmt. In der Parabel vom Elefanten. In der Liberating Structure für den Übergang zur Handlungsplanung (What, So what, Now what?). Oder auch im charmanten „Litfaßsäulen-Walk“, mit dem wir die Teilnehmenden wieder ins Zelt einladen Der geht so: Man nehme einen großen Bogen Papier, schreibe darauf „Um XX Uhr im großen Zelt“ und laufe damit lächelnd und schweigend an allen verstreuten Gruppen vorbei, bis mindestens eine Person aus jeder Gruppe lacht oder bestätigend nickt. Diese Technik ist so sanft wie genial – und macht einfach allen Spaß.